NS-Ideal und Realität
.
Hitler in einer Rede in Reichenberg über
die faschistische Erziehung der deutschen Jugend am 2.12.1938:
"(...) Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes,
als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren
in unsere Organisation hineinkommen und dann sofort zum ersten Male überhaupt
eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre
später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir sie
wieder vier Jahre, und dann geben wir sie erst recht nicht zurück
in die Hände unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, sondern dann
nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder
in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder
anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden
sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder
sechs und sieben Monate geschliffen, alles mit einem Symbol, dem deutschen
Spaten. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassenbewußtsein
oder Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt
dann die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre, und wenn sie
nach zwei, drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie,
damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in
die SA, SS und so weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!"
.
.
Bericht des Reichsjustizministeriums über
"jugendliche Cliquen und Banden"
von Anfang 1944:
"(...) Die auffälligste Erscheinung unter
diesen gefährdeten Gruppen ist die sog. Swing-Jugend, über die
aus verschiedenen Teilen des Reiches berichtet wird.(...) Diese Cliquen
gehen vom Drang zum Amüsieren aus und nehmen fortlaufend einen ans
Kriminell-Asoziale grenzenden Charakter an. Bereits vor dem Krieg schlossen
sich in Hamburg Jungen und Mädchen zusammen, die mehr aus sozial bessergestellten
Schichten stammten, auffällige lässige Kleidung trugen und für
englische Musik und englischen Tanz schwärmten. Von der Flottbecker
Clique wurden um die Jahreswende 1939-1940 geschlossene Tanzfeste veranstaltet,
die von 5-600 Jugendlichen besucht wurden und sich durch einen hemmungslosen
Swing-Betrieb hervorhoben. Nach dem Tanzverbot wurden Hausfeste veranstaltet,
in denen vor allem sexuelle Ausschweifungen vorkamen. Die gesamte Lebensführung
dieser Mitglieder kostete erhebliches Geld, welches sie sich durch strafbare
Handlungen, insbesondere durch Diebstähle zu verschaffen suchten.
Die Sucht nach englischer Tanzmusik und nach eigenen Tanzkapellen führte
namentlich zu Einbrüchen in Musikaliengeschäften. Die Gier nach
dem von ihnen vornehm erscheinenden Leben in Klubs, Barbetrieben, Kaffeehäusern
und Hausbällen verdrängte jeden Willen zu einer positiven Einstellung
gegenüber den Zeiterfordernissen (Krieg,
Anm. d. Verf.). Die Leistungen unserer Wehrmacht ließen sie unberührt,
die Gefallenen wurden zum Teil verächtlich gemacht. Eine wehrfeindliche
Einstellung ist hiernach deutlich erkennbar.
Nach außen hin treten die Mitglieder
in an die englische Mode angelehnten Kleidern in Erscheinung. So tragen
sie vielfach geschlitzte Jacken in schottischen Mustern und führen
den Regenschirm mit sich. Als Abzeichen haben sie einen farbigen Frackhemdknopf
im Rockaufschlag. Der Engländer wird von ihnen als höchste Entwicklungsstufe
betrachtet. Der falsch verstandene Begriff der Freiheit führt sie
in Opposition zur HJ. Diese Cliquen haben sich, zum Teil als
Folgeerscheinung der Evakuierungsmaßnahmen, auch auf andere Gebiete
übertragen. So gab es z.B. in Frankfurt a.M. den Harlem-Klub, bei
dem Hausbälle übelster Art an der Tagesordnung waren. Wechselnder
Geschlechtsverkehr wurde auch von den jüngsten weiblichen Mitgliedern
hingenommen. Alkoholische Ekzesse (!) gaben diesen Festen, bei denen "geswingt"
und "gehottet" wurde, das Gepräge."
.
..
.Entstehung
der Swing-Jugend
Die Zusammenschlüsse der swingbegeisterten
Jugendlichen zählten neben zahlreichen anderen Jugendgruppen, wie
den Edelweißpiraten, Meuten oder Wandervögeln, zu dem Phänomen
wilder Cliquenbildung im Dritten Reich, deren Vorläufer sich schon
zur Zeit der Weimarer Republik gebildet hatten.Der in der Literatur
oft pauschal verwendete Begriff "Swing-Jugend" für diese Jugendlichen,
der ohne Hinterfragen aus dem NS-Sprachgebrauch übernommen wurde,
umfaßt diese Gruppe aber nur unvollständig. Die Nationalsozialisten
kennzeichneten damit eng umgrenzt bestimmte Jugendliche aus dem Bürgertum,
die durch ihr anglophiles Auftreten und ihre Vorliebe für die Swingmusik
den Nationalsozialisten unangenehm auffielen. Das Swingphänomen war
aber nicht nur auf bürgerliche Schichten beschränkt, sondern
mitunter auch bei Arbeiterjugendlichen, dort jedoch nicht so verbreitet,
anzutreffen.
In Berlin zeichnete sich bereits 1936 eine
"Swing-Jugend" in größerem Umfang ab, in anderen Großstädten
vor allem im Nordwesten Deutschlands seit Ende der 30er und Anfang der
40er Jahre. Die Stadt als Erfahrungsraum war ein wesentlicher Faktor für
die Entwicklung dieser Bewegung. Der hohe Grad an Vergesellschaftung, durch
den soziale Probleme gehäuft auftraten, die schwierige soziale Kontrolle
und die im Vergleich zu ländlichen Gebieten günstigeren Bedingungen
für eine Verbreitung, förderten das jugendliche Protestpotential.
Die meisten Gruppen werden sich unabhängig voneinander gegründet
haben, auch wenn mitunter einzelne Verbindungen zwischen verschiedenen
Mitgliedern und Clubs bestanden. Oft gab es innerhalb einer Stadt mehrere
Swing-Szenen, die untereinander keinen näheren Kontakt hatten. Meist
lag die Mitgliederzahl zwischen 2 und 30 Personen. Kleinere Gruppen konnten
in größeren aufgehen oder sich in ihnen bilden.
.
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... |
Die Swings waren im Durchschnitt zwischen
14 und 18 Jahre alt. So nahmen beispielsweise an einem Tanzabend in Hamburg
im Jahre 1940 408 Jugendliche teil, von denen nur 2 über 21, 205 unter
18 und 18 Mädchen unter 16 Jahre alt waren. Mit zunehmender Kriegsdauer,
als die älteren Swings in die Wehrmacht oder zum Reichsarbeitsdienst
eingezogen wurden, verschob sich die Altersgrenze leicht nach vorne. Der
Nachwuchs wurde immer jünger und umfaßte die Jahrgänge
ab 1925. |
Die Swings stammten zumeist aus der Mittelschicht.
Während die wohlhabende Oberschicht den Stil prägte, kopierte
der Großteil der Swings, der den breiteren Mittelschichten angehörte,
diese "primäre Trägergruppe". Viele von ihnen waren Gymnasium-,
Real- und Oberschüler, gingen auf Handels- und Höhere Handelsschulen
oder absolvierten etwa eine kaufmännische Lehre.
Die Swing-Bewegung bot den Jugendlichen eine
Identität und Prestige in Abgrenzung zu den "NS-Proleten" sowie eine
für die Jugendlichen als sinnvoll angesehene Gestaltung der Freizeit.
In der nationalsozialistischen Jugendarbeit, die Hitler in seiner Rede
(s.o.) beschreibt, fand der Drang der Jugendlichen nach eigener kultureller
Aktivität, nach persönlicher Freiheit sowie nach Lebenslust,
Bedürfnisse, die die Swings dann in ihrer Freizeit als ihren letzten
Fluchtpunkt auszuleben versuchten, zu wenig Beachtung und wurde weitestmöglich
sogar bewußt unterdrückt.
Die für das Phänomen der Cliquen-
und Bandenbildung zuständigen NS-Organe beschäftigten sich intensiv
mit der Suche nach Gründen für deren Entstehen. In ihren Ergebnissen
neigten sie jedoch dazu, bestimmte Bedingungen zu überschätzen
oder zu unterschätzen. Zudem griffen sie oft pseudowissenschaftliche,
rassistische und biologische Argumente auf und unterschlugen dafür
mögliche Ursachen, wenn diese das eigene System in Frage gestellt
hätten. Eine Grundvoraussetzung für die Cliquenbildung war, wie
auch die Nationalsozialisten erkannten, eine verbreitete Unzufriedenheit
unter den Jugendlichen. Mehr noch als die Erwachsenen waren sie mit vielfältigen
Problemen belastet. Zu ihrer unsicheren Position zwischen Kind- und Erwachsensein,
in der sie sich auf der Suche nach einer eigenen Identität befanden
und sich von den bisherigen Autoritäten abkehrten, kamen die spezifischen
Zwänge des nationalsozialistischen Systems und die Folgen des Krieges.
Selbst auf Anhänger der HJ übte die
"Swing-Jugend" daher eine große Attraktivität aus. Mit zunehmendem
Alter mehrte sich der Überdruß am staatlichen Einheitsdrill
in der HJ, bei dem die Jugendlichen den Schikanen ihrer Altersgenossen
ausgesetzt waren. Durch den Swing und seine Begleiterscheinungen
war es den Jugendlichen möglich, eine umfassende Jugendkultur aufzubauen,
in einem gewissen Maße kulturelle Eigenständigkeit zu zeigen
und ihre Identität zu stärken. Selbst in den heutigen
jugendlichen Gruppierungen finden sich die bereits bei den Swings verwendeten
Stilmittel wie die Musik, die Mode und der Tanz als wesentliche Erkennungszeichen,
die den Zusammenhalt der Gruppe begründen
.
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Die Mode der Swing-Jugendlichen
Einen Swing konnte man wie der Bericht andeutet
in erster Linie an seiner auffälligen äußeren Erscheinung
erkennen. Obwohl der oben zitierte Bericht die Frisur der Jugendlichen
nicht erwähnt, war sie für das Aussehen der Swings in erster
Linie von Bedeutung, da sie sowohl von ärmeren als auch von besser
situierten Swings relativ leicht erreicht werden konnte. In vielen anderen
NS-Quellen wird daher auf dieses Erscheinungsmerkmal hingewiesen.
Die Jungen hatten möglichst lange Haare (bis zu 30 cm), die sie mit
Brillantine oder Zuckerwasser nach hinten kämmten. Auch die Mädchen
trugen ihre Haare lang und offen, nicht selten mit Dauerwelle. Die Haare
waren ein Stilmittel, das sich auch bei anderen informellen Jugendgruppen
wie zum Beispiel bei den Edelweißpiraten, ja selbst noch in den 60er
und 70er Jahren in der Hippie-Bewegung als Symbol des Protestes finden
läßt, und das in scharfem Gegensatz zu dem von der HJ propagierten
kurzen Haarschnitt für Jungen und den Zöpfchenfrisuren für
Mädchen stand.
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| Die Kleidung war zwar ebenso überaus
wichtig, aber schwieriger zu beschaffen. Angelehnt an die amerikanischen,
englischen und deutschen Unterhaltungsfilme trugen die Jungen lange, viel
zu weite, fast bis ans Knie reichende, nach Möglichkeit maßgeschneiderte
Jacketts, breite Hosen mit weitem Schlag und Schuhe mit heller starker
Kreppsohle. Um ihre anglophile Einstellung darüber hinaus zu verdeutlichen,
führten sie bei jedem Wetter den obligatorischen Regenschirm mit sich
in Anlehnung an den englischen Außenminister Anthony Eden. Eine ausländische
Tageszeitung in der äußeren Manteltasche, sowie eine Shag-Pfeife
galten als "todchick". |
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Die Mode in den verschiedenen Städten
variierte. In Hannover wurden beispielsweise bevorzugt weiße oder
fast weiße Staubmäntel, möglichst breitkrempige Hüte
und Nadelstreifenanzüge mit breiten Streifen getragen, in Hamburg
in einigen Gruppen dunkle Mäntel mit weißem Cachenez, Glencheckanzüge,
Homburger Hüte nach Lettow-Vorbeck-Manier und blaue Polohemden mit
weißem oder gelbem Binder, in Frankfurt am Main enge Röhrenhosen,
weite Jacketts ("zoot suiters") und lange hängende Uhrenketten, in
Berlin Zweireiher, weite Hosen, Krawatten oder Fliegen, Trenchcoats im
US-Reporter-Stil oder Kamelhaar- bzw. Teddymäntel und steife Hüte.
Die Mädchen, die in dem Bericht nicht
in Bezug auf ihre Aussehen erwähnt werden, trugen auffälliges
Make-up, gefärbte Lippen (cyclam-lila), nachgezogene Augenbrauen,
lackierte Fingernägel und posierten gerne mit langen Zigarettenspitzen.
Wenn möglich, trugen sie modische und auffallende Kleidung aus den
teuersten Geschäften der Stadt.
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Daß sie dabei, wie aus den Ermittlungen
der Reichsjugendführung hervorgeht, ihre körperlichen Reize zur
Schau zu tragen wußten, spiegelt sich auch in einer NS-Karikatur
der "Hamburger Gaunachrichten", Mitgliederzeitschrift der Hamburger NSDAP,
aus dem Jahre 1939 wieder, wo das dargestellte swingtanzende Mädchen
sein sehr kurz geschnittenes, körperbetonendes Kleid trägt. |
| Hans-Herbert Krüger beschreibt in seiner
Dissertation von 1944 die Vorliebe der Hamburger Swing-Mädchen im
Sommer Sonnenbrillen mit weißer Fassung und lange Hosen zu tragen,
was auch in einer anderen Karikatur der "Hamburger Gaunachrichten" von
Oktober 1941 aufgegriffen wird. Durch dieses Erscheinungsbild widersprachen
diese Mädchen ganz entschieden dem propagierten nationalsozialistischen
Frauenbild, welches Schminke und Rauchen ebenso wie Hosen für Frauen
ablehnte und sich für einfache und schlichte Kleidung aussprach. In
ihrer äußeren Erscheinung drückten die weiblichen wie die
männlichen Swings öffentlich ihre Abneigung gegen die Modevorschriften
der Nationalsozialisten aus, die die Mode als "Ausdrucksmittel des individuellen
Lebensgefühls" zu unterdrücken versuchten. |
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Die Nationalsozialisten erstrebten vielmehr
durch weitgehende Uniformierung beispielsweise bei Jugendlichen durch die
HJ- und BDM-Uniformen die Kleidung zu standardisieren und dadurch den Befehlsgehorsam
und die uneingeschränkte Gefolgschaft auch nach außen hin symbolhaft
zu demonstrieren.
"Schlurfs" in "Schlurfschale"
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........ |
Die extravagante und teure Kleidung dieser
Jugendlichen konnte nicht von allen, insbesondere nicht von Swings aus
dem Angestellten- und Arbeitermilieu ohne Probleme finanziert werden. So
trugen diese vornehmlich Second - hand - Garderobe oder Ware billigerer
Qualität.
Wahrscheinlich wurde wie bei den Wiener Schlurfs
zum Teil auch mit Hilfe von Improvisation und Kreativität Abhilfe
geschaffen, so daß beispielsweise durch bestimmte Tricks ein alter
Hut durch Wasserdampf in die gewünschte Form gebracht werden konnte
oder ein alter einreihiger Anzug durch Knöpfe in einen zweireihigen
umgewandelt wurde. |
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Über die bei allen Gruppen ähnliche
äußere Erscheinung hinaus, die die Sympathie für die Swing-Bewegung
für alle auf der Straße sichtbar machte, gab es verschiedene
Clubabzeichen, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe offenbarte.
Von diesen Clubabzeichen erwähnt der Bericht die farbigen Frackhemdknöpfe
(sogenannte englische Kragenknöpfe), die sowohl unter als auch über
dem Revers angesteckt wurden. Daneben existierten jedoch noch zahlreiche
andere wie zum Beispiel beim Frankfurter Harlem-Club ein auf der Spitze
stehendes Viereck aus weißem Metall, das blau umrandet war und die
Aufschrift Harlem trug, oder ein bearbeitetes Ein-Pfennig-Stück bei
verschiedenen Gruppen in den Hamburger Stadtteilen Wilhelmsburg und Eimsbüttel
...
Musik und Tanz
Nicht nur in der Mode eiferten die Swings dem
englischen und amerikanischen Ideal nach. Sie liebten natürlich auch
die englische und amerikanische Swingmusik und den Swingtanz.
Für das Stilmittel der Musik war das
Sammeln der neuesten Swingplatten eine Grundvoraussetzung für einen
richtigen Swing. Um einen Grammophonbesitzer scharrten sich ganze Cliquen.
Geschwärmt wurde vor allem für Jazzmusiker wie Teddy Stauffer,
Nat Gonella und Louis Armstrong. In Berlin beispielsweise war der Besitz
der Schellackplatte mit Armstrongs "Tiger Rag" und dem "St. Louis Blues"
in bestimmten Gruppen obligatorisch.
Doch die Swings begnügten sich nicht allein
mit dem passiven Hören der Swingmusik auf Schallplatte, im ausländischen
Rundfunk oder auf Live-Konzerten, sondern sie gründeten teilweise
auch aktiv eigene Amateurkapellen. Während der Kriegszeit, als
der Kauf von Jazz- und Swingplatten in den Schallplattenläden immer
schwieriger wurde, schnitten sie Swingmusik von ausländischen Sendern
wie BBC mit und preßten sie auf Tonfolien, die dann illegal an den
Schulen gehandelt wurden.
Ebenso wichtig wie die Musik war aber auch
der Swingtanz, bei dem sich die Jugendlichen austobten und ihre Individualität
entfalten konnten. Ungebundene, spontane Bewegungen, phantasievolle Figuren
und körperliche Verausgabung kennzeichneten ihr Tanzen. In dem Protokoll
des HJ-Streifendienstes vom 8.2.1940 wird ein Tanzabend der "Hamburger
Swing-Jugend" folgendermaßen geschildert:
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"Der Anblick der etwa 300 tanzenden Personen
war verheerend. Kein Paar tanzte so, daß man das Tanzen noch als
einigermaßen normal bezeichnen konnte. Es wurde in übelster
und vollendetster Form geswingt. Teilweise tanzten zwei Jünglinge
mit einem Mädel, teilweise bildeten mehrere Paare einen Kreis, wobei
man sich einhakte und in dieser Weise dann weiter gehüpft wurde. Viele
Paare hüpften so, indem sie sich an den Händen anfaßten
und dann in gebückter Stellung, den Oberkörper schlaff nach unten
hängend, die langen Haare wild im Gesicht, halb in den Knien mit den
Beinen herumschleuderten. Bei manchen konnte man ernsthaft an deren Geisteszustand
zweifeln, derartige Szenen spielten sich auf der Swingfläche ab. In
Hysterie geratene Neger bei Kriegstänzen sind mit dem zu vergleichen,
was sich dort abspielte (...) Alles sprang wild umher und lallte den englischen
Refrain mit. Die Kapelle spielt immer wildere Sachen. Kein Mitglied der
Kapelle saß mehr, sondern jeder 'hottete' wie wild auf dem
Podium herum. Häufig sah man, daß Jungens zusammen tanzten,
durchwegs mit zwei Zigaretten im Mund, in jedem Mundwinkel eine."
Diese Art des Tanzen wirkte auf die Nationalsozialisten,
wie die Worte des HJ-Angehörigen verdeutlichen, abschreckend, da sie
als Ausdruck von Geisteskrankheit und Primitivität ( "hysterische
Neger") angesehen wurde. Die Lebensfreude und Ausgelassenheit, die durch
das Swingtanzen ausgedrückt wurde, widersprach der nationalsozialistischen
Vorstellung, die einen dem gefolgsamen Volk entsprechenden disziplinierten
Tanzschritt und in ihrer prüden Moral die Vermeidung jeglicher sexueller
Anspielungen propagierte. Die strenge Einteilung der Geschlechterrollen,
die von den Nationalsozialisten befürwortet wurde, lockerten die Swings,
indem sie sich beim Tanzen von den Konventionen trennten und, wie der Bericht
beispielsweise angibt, auch Jungen mit Jungen tanzten. Natürlich war
ein derartiges Verhalten stark provokativ. Gerade gegen die Tanzveranstaltungen
wurde daher von nationalsozialistischer Seite massiv vorgegangen.
Beim Tanzen entwickelten die Swings neben dem
beschriebenen Bruch der Konventionen auch eigene Zeichen. Eine bekannte
Tanzfigur war zum Beispiel das Mitswingen des Taktes bei träge emporgereckter,
müde wirkender Hand und ausgestrecktem Zeigefinger oder gespreiztem
Zeige- und Mittelfinger (Churchills Victory-Zeichen), die als "Zerrbild
der straffen Unterwerfungsgeste" den deutschen Gruß ins Gegenteil
verkehrte und eine gefährliche Provokation darstellte, da ein Verunglimpfen
hoher Persönlichkeiten schwer bestraft wurde.
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.... |
Diese Figur war sogar den Nationalsozialisten
bekannt wie eine Karikatur in den Hamburger Gaunachrichten aus dem Jahre
1941 zeigt, wo ein Swing in eben dieser Haltung abgebildet ist. |
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Daß dieser Tanz bei Nationalsozialisten
ebenso wie im Ausland bereits als politisches Bekenntnis zur Demokratie
gewertet wurde, verdeutlicht ein Artikel in der Zeitschrift " SA-Mann"
aus dem Jahre 1938:
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"Eine ausländische Judenzeitung hat im
Jahre 1937 anläßlich einer 'Betrachtung' über den Reichsparteitag
mit zynischer Offenheit zugegeben: 'Wenn man die Aufmärsche in Nürnberg
sieht, dann kommt man zu der Überzeugung, daß Deutschland für
die Demokratie endgültig verloren ist. Aber ein Trost ist noch da:
die deutsche Jugend tanzt nach wie vor Jazz; vielleicht kann auf dem Umweg
über den Jazz der Demokratie doch wieder ein Eingangstor nach Deutschland
geöffnet werden.' Wir lehnen eine 'getanzte Weltanschauung' ab. Was
uns nach diesen Jahren noch nicht geglückt ist und uns daher als Aufgabe
bevorsteht ist eben: Die Revolution des Privatlebens."
Eine Aufgabe, die der Nationalsozialismus nicht
bewältigen sollte. Das Swing-Phänomen und mit ihm das Swingtanzen,
wenn auch heimlich in privaten Räumlichkeiten, in Bunkern oder im
Freien, hielt sich nicht nur bis zum Kriegsende, sondern erlebte danach
noch einmal einen großen Boom.
Der Jargon
Die als "Swing-Heinis", "Hotter", "Swing-Papen",
"Stenze" und "Tango-Bubis" oder "Tango-Jünglinge" beschimpften oder
neutraler im Amtsdeutsch zum Teil als "Swing-Jugend" bezeichneten Swings
hatten zwar untereinander keine feste Selbstbezeichnung, aber doch wohl
eine eigene Ausdrucksweise, die auch zu den spezifischen Stilmitteln dieser
Gruppe gehörte. Das wird zum Beispiel an der oben aufgeführten
Namensgebung der Clubs deutlich, die zumeist an anglophile Vorbilder angeknüpft
war. Teilweise wurden dabei politische Bezüge hergestellt wie bei
dem Hamburger "Churchill-Club", den "Anthony-Swingers", die auf den englischen
Außenminister Anthony Eden anspielten, oder dem Kieler "Club der
Plutokraten", der auf die antiamerikanische Propaganda vom plutokratischen
Amerika reagierte. Ob jedoch hinter dieser Namengebung konkrete politische
Absichten steckten, mag im Hinblick auf die noch näher zu beschreibende
durchweg unpolitische Haltung der meisten Swings bezweifelt werden. Wahrscheinlich
wurden die Namen hauptsächlich aufgrund ihrer provokativen Wirkung
ausgewählt.
Neben den meist englischen Clubnamen redeten
sich die Jugendlichen auch untereinander mit englischen Vornamen
an. Aus Frank wurde Fränk und aus Walter Bobby, Billy oder Teddy .
Es gab einen "Eton-Jackie", "Tommy", "Lord", "Fiddlin` Joe", "Hot-Geyer",
"Old Kluge", "Hot King", "Hot Ibsen", "Roy" und "Fats". Die Mädchen
hießen nicht Fräulein Schneider oder Fräulein Meier, sondern
Blackie, Teddy, Micky oder Coca. Abgesehen davon, daß aufgrund der
Spitznamen die einzelnen Mitglieder von den NS-Kontrollorganen nicht so
leicht erkannt werden konnten, empfanden viele diese neuen Namen auch als
besser zur ihrer Lebensart passend. Auf der Straße redete man sich
mit "Hallo Big", "Old-hot-Boy" (auch "Hot-old-Boy") oder "Swing-Boy", die
Mädchen mit "Swing-Girl", "Jazzkatze", "Swing-Puppe" oder "Swing-Baby"
an, oder man grüßte sich mit "Swing high - Swing low", "Badideldadu"
und "Swing Heil" und "Heil Hotler" statt "Heil Hitler". Bisweilen wurden
auf der Straße zur Begrüßung auch die Anfangstakte einer
bekannten Swingmelodie gepfiffen, zum Beispiel in Frankfurt am Main das
"Harlem"-Motiv oder in Hannover "Goody Goody".
Natürlich wurde nach Möglichkeit
und Können auch ansonsten das Anglophile in Form von englischer Konversation
ob auf der Straße, im Café, in Lokalen oder bei den Swing-Partys
gepflegt. Briefe wurden nicht selten mit "Swing Heil" unterzeichnet oder
mit "V" für Victory unterschrieben. Diese anglophile Ausdrucksweise
der Swings, die in gewisser Hinsicht an großstädtische, weltläufige
Traditionen aus der Weimarer Republik anknüpfte, obwohl dieses von
den Jugendlichen nicht bewußt so empfunden wurde, war für die
Nationalsozialisten ebenso wie die Mode, die Musik und der Tanz der Swings
eine Provokation, denn für sie galt es, die deutschen Werte und damit
auch die Sprache vor dem verderblichen ausländischen Einfluß
zu bewahren.
Neben den englischen Begriffen verwendeten
die Swings auch verschiedene Schlagworte (teilweise eigene Schöpfung
oder Entlehnung), mit denen sie ihre Lebensweise charakterisierten. Solche
beliebten Schlagworte der Swings waren zum Beispiel "Hotten" ("Hotfest",
"Hotter", "Hotte"), was sich, abgeleitet von dem Begriff Hot-Musik für
Jazz, auf das Umfeld des Swingtanzens bezog sowie "Lässigkeit"
und "Lottern". Lottern war dem Wort "Lotter" entlehnt, welches "Herumtreiber"
oder "Faulenzer" bedeutete, "wobei die Herumtreiberei in den Nächten
der Großstadt zu geschehen" hatte. Der RJF-Bericht über
"Cliquen- und Bandenbildung unter Jugendlichen" geht auf die Verwendung
dieses Wortes insbesondere ein:
.
"Das Schlagwort ist 'lottern'. Nach ihm ist
der 'Lotterclub' benannt. Häufig findet man in den Tagebüchern
der 'Lotterboys' und der 'Lottermädchen" den Satz: 'Nachmittags habe
ich 'gelottert''. (...) In einem Tagebuch hieß es: 'So lotterten
wir beim lässigen Bar-Swing bis in den frühen Morgen hinein'."
Zusammenfassend verdeutlicht der in diesem
Abschnitt beschriebene Stil, wie sich die Swings in einer provozierenden
Weise von nationalsozialistischen Vorgaben abgrenzten Eine Abgrenzung,
die sich auch in den im folgenden beschrieben Lebenseinstellungen und Verhaltensformen
widerspiegelt.
Lebenseinstellung und Verhaltensformen
Das "Swing-sein" als angestrebte "Lebensform"
bedeutete für die Jugendlichen vor allem ein lässiges und freies
Lebensgefühl zu vertreten, sich individuell auszudrücken und,
wie bereits beschrieben, chic und modern im Sinne der amerikanischen Mode
zu sein. Selbst die Körperhaltung der Swings, die lässige
Überlegenheit und Langeweile gegenüber der Umwelt ausdrücken
sollte, entsprach dieser Lebenseinstellung. Mit kleinen swingenden Schritten
und leicht vornübergebeugtem Körper betonten sie ihre antimilitärische
Haltung. In der Denkschrift der Reichsjugendführung vom September
1942 wird der Ursprung für die Erhebung des "Lotterlebens" zur Lieblingsbeschäftigung
und Lebensideal der Swings auf den Einfluß amerikanischer Filme zurückgeführt,
weil die dort "gezeigte Lässigkeit in Haltung und Lebensführung
" so gefiel , "daß sich die Jugendlichen nach eigenen Angaben bewußt
bemühten, einen verlotterten Eindruck zu machen". So schrieb
ein Kieler "Swing-Boy" an seinen verreisten Freund:
.
"Daß du mir Kiel auch würdig vertrittst,
also ganz lässig, ewig englische Schlager singend und pfeifend, total
besoffen und immer umwiegt von den tollsten Frauen",
wodurch er die Lebenseinstellung der Swing-Jugendlichen
recht treffend kennzeichnete.
Während sich die Jungen bemühten,
den "nonchalanten Mann von Welt" nach dem Vorbild der englischen und amerikanischen
Filme zu spielen, gaben sich die Mädchen möglichst damenhaft
und mondän. Wie auch der zu Beginn dieses Abschnitts zitierte Bericht
der RJF beschreibt, bevorzugten die Swings, um dieses weltgewandtes Ideal
zu erreichen, das ihnen "vornehm erscheinende Leben" zwischen Bars und
Tanzcafés, zu dem auch die Musik, der Alkohol und der Sex gehörten.
Da die Swings von der amerikanischen Musik
und Kultur, die ihnen in der Hauptsache nur durch die Filme zugänglich
war, begeistert wurden, versuchten sie sich auch in politischen Hinsicht
an den ihnen zugänglichen, meist jedoch nur vagen Vorstellungen von
anglophilen, internationalistischen und plutokratischen Werten zu orientieren.
Kurz beschreibt die Vorstellung der Swings von Amerika dabei als eine Art
"Swinging Democracy". Die in den Filmen repräsentierte Lebenswelt,
die Amerika als das Land des Fortschritts, des Konsums, der persönlichen
Freiheit und der Demokratie zeigte, wurde nämlich bei ihnen mit der
Swingmusik immer in eine enge Verbindung gebracht.
Ihre amerikafreundliche Orientierung hatte
nicht selten zur Folge, daß die Swings auf der anderen Seite viele
nationalsozialitische Normen ablehnten. Beispielsweise zeigte sich dieses
im Bereich der Rassenfrage, da vielerorts die Swings weiterhin mit Juden
und "Halbjuden" in Kontakt standen und teilweise sogar intime Beziehungen
aufrechterhielten oder eingingen.
Die angeblich "liberalistische" Einstellung,
die auch der Bericht durch die Bezeichnung der Swings als "liberalistisch-individualistische
Clique" hervorhebt, wurde von den Nationalsozialisten besonders stark gewichtet,
da sie die falsche Weltanschauung repräsentierte, und dadurch die
Swings als "politische Gegner" eingestuft wurden.
Die swingbegeisterten Jugendlichen waren jedoch
nicht wirklich am politischen Handeln interessiert, obwohl sie die westlichen
Demokratien, allen voran Amerika und England, bewunderten, die für
sie das "Paradies der Freiheit" darstellten. Viele nahmen sich vor, nach
Kriegsende dorthin auszuwandern. Doch bis dahin versuchten sie so lange
wie möglich, den Krieg als nicht existent zu betrachten. Gesprächsthemen
drehten sich nicht um politische Vorfälle, sondern um Mädchen,
Swing und Tanzen. Die Jugendlichen waren den NS-Phrasen gegenüber
gleichgültig eingestellt, sie wollten einfach nur in Ruhe gelassen
werden und ihr ( angesichts des Krieges womöglich kurzes) Leben
genießen. Die HJ, den Wehr- und Arbeitsdienst lehnten sie als Einschränkung
der persönlichen Freiheit ab. So weit es möglich war, drückten
sie sich daher um diese Dienste.
Um dem Einheitsdrill der HJ wenigstens für
kurze Zeit zu entkommen, schuf sich die "Swing-Jugend" in ihrer Freizeit
ein eigenes kulturelles Gegenstück zum nationalsozialistischen Zwang
des Alltags. In der Freizeit wollten die Jugendliche ihre Individualität,
ihre Spontaneität und ihre Lebenslust ausleben. Neben den bereits
angesprochenen Bars und Tanzcafés trafen sich die Jugendlichen
auch in Badeanstalten, Kinos und Eisdielen, im Stadtpark oder zu Ausflügen,
beständig begleitet von ihrem Koffergrammophon und einem Satz englischer
und amerikanischer Swingplatten. Bei den abendlichen Live-Konzerten
in Bars, Cafés und Konzerthäusern scheuten sich die Swings
nicht, gegen die "Polizeiverordnung zum Schutz der Jugend" von 1940 zu
verstoßen, die Personen unter 21 Jahren verbot, sich nach Einbruch
der Dunkelheit "herumzutreiben". Sie fälschten mitunter sogar die
Ausweise, indem sie das Alter änderten. Durch ihre Kleidung wirkten
die Swing-Jugendlichen zudem erwachsener und fielen im Gegensatz zu den
Hitlerjungen mit ihrer kniefreien Kluft nicht so schnell als Minderjährige
auf.
Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die auch
in dem RJF-Bericht angesprochenen selbstorganisierten Swingparties. Als
in Hamburg im Februar 1940 das erste dieser Feste stattfand, an dem 500-600
Jugendliche teilnahmen, war es "wochenlang Gesprächsstoff unter der
Hamburger Jugend". Da die Polizei gegen derartige halboffizielle Feste
bald gewaltsam vorging, verzichteten die Swings weitgehend auf die Organisation
großer Veranstaltungen und trafen sich in kleineren Gruppen von höchstens
20-30 Personen. Swingparties wurden dann als Hausfeste in der elterlichen
Wohnung gefeiert, teilweise sogar während der Luftschutzwache.
Überlieferte Spottverse
und Liedtexte der Swings
Im Zuge der zunehmenden nationalsozialistischen
Repressionen entwickelten diese Jugendlichen eine Reihe von weiteren Verhaltensformen,
die vornehmlich widerständigen Charakter hatten und über die
bereits erwähnten provokativen Elemente der Bewegung hinausreichten.
Spottlied, das nach der Melodie "Hofkonzert
im Hinterhaus"( im Original das amerikanische Jazzstück "Organ Grinder's
Swing") gesungen wurde:
.
"Kurze Haare, große Ohren,
So war die HJ geboren!
Lange Haare, Tangoschritt -
Da kommt die HJ nicht mit! Oho,oho!
Und man hört's an jeder Eck' -
Die HJ muß wieder weg!" |
Folgender Text wurde auf einem Flugblatt in
Schulen in Winterhude verteilt:
.
"Der Boy, das Girl, sie lieben Hot
Und meiden die Meute stupider HJ.
Geh'n sie spazieren auf leisestem Krepp,
Erglänzt sie am Bein, er am Jackett.
Marschiert voran, Hot, Jazz und Swing.
Come on boy and girl, wir gehen zum Ding.
Zum Fest der Gerechtigkeit komm und spring.
Und tritt General HJ einst gegen uns an
Dann werden wir hotten Mann für Mann.
Der eine am Baß, der andre am Kamm.
Noch sind wir nicht viele genug.
Doch einst wird es wahr, was bisher nur Spuk.
Wir werden siegen, da gibt's keinen Muck!" |
Ein weiterer kleiner Vers:
.
"Swingend wollen wir marschieren in die Zwangs-HJ
Teddy Stauffer soll uns führen mit dem
neuesten Hot !" |
Auf die Melodie des Swing-Stückes "Oh
Joseph, Joseph" gesungener Text, bezogen auf das Hamburger Durchgangs-KZ
Fuhlsbüttel, das unter dem Namen "Florida" bekannt war:
"Und Sonntag war'n wir in der Bauernschänke
bei einem fröhlichen Zusammensein.
Der Ober brachte verschiedene Getränke,
doch keines war vom guten alten Wein.
Er hat vielleicht mal neben Wein gelegen
und etwas Färbung abgekriegt.
Doch alle sind sie da, bis auf die in Florida.
Oh Joseph, Joseph, Steine klopfen, das ist
wunderbar." |
Auf die Melodie "Panama" wurde der folgende
Text über Bergedorf, eine der vier Hamburger Jugendarrestanstalten,
gesungen:
.
"Bergedorf ist kein Zuchthaus, kein Sing-Sing,
Bergedorf ist die Festung für den Swing.
Bergedorf ist der Nazi stiller Ort,
wo sie hinbringen die Kulturträger für
den altenglischen Hot." |
Ein Spottgedicht auf den von der Hamburger
Jugend gefürchteten "Langen Paul", ein Schläger der SS-Wachmannschaft
und den "Fuchs", der im Gestapo-Hauptquartier die Verhöre leitete,
in der Ausübung ihrer "Tätigkeit" beschrieben:
.
"Erst bricht der Lange Paul dir alle Knochen,
dann kommst du beim Fuchs auf allen Vieren
angekrochen
der macht aus dir Frikassee
aus deinem Schwanz Haschee
da pfeift dir aus dem Hinterteil
der allerletzte Furz: Swing Heil!" |
Auch Goebbels betrafen mehrere ihrer Aktionen.
So wird er in einem Spottvers für die Repressionen gegen die Swingmusik
verantwortlich gemacht:
.
"Der kleine Josef hat gesagt, ich darf nicht
singen,
denn meine Band, die spielt ihm viel zu hot.
Ich darf jetzt nur noch Bauernwalzer bringen,
nach dem bekannten Wiener Walzertrott." |
Ein anderer Spottvers lautete:
.
"Wir tanzen Swing bei Meier Barmbeck.
Es ist verboten. Wir hotten nach Noten.
Und kommt die Polizei, dann tanzen wir Tango.
Und ist sie wieder weg, dann swingen wir den
Tiger Rag." |
Frei nach dem "Lambeth Walk", welcher Churchills
Lieblingslied war und daher an oberster Stelle auf dem Index der verbotenen
Lieder stand:
.
"Kennen Sie Lamberts Nachtlokal?
Nackte Weiber kolossal
Eine Mark und zehn, liegen oder stehn!" |
Und noch einmal zu "Joseph, Joseph" gesungen:
.
"Wir sind nicht Juden, sind nicht Plutokraten,
doch die Nazis müssen trotzdem weg.
Aus uns da macht man keine Soldaten,
denn unsere Hymne ist der Tiger Rag." |
.
.
Verfolgung
Die beschriebenen Verhaltensformen und Lebenseinstellung
der Swings widersprachen der nationalsozialistischen Vorstellung von einer
Jugend "Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl",
die sich bedingungslos einem Führer zu unterwerfen hatte. Die
Amerikanisierung, die sich in den Stilmitteln und Zielvorstellungen der
Swings ausdrückte, und die Schaffung einer an freier Lebensgestaltung
und Lebenslust orientierten, kulturellen Gegenwelt, die sich von nationalsozialistischen
Werten und Normen abkehrte, wurde von den Nationalsozialisten als "staatsgefährdende
Bedrohung" aufgefaßt. Während sie durch ihre sexuelle Unbefangenheit
die Nationalsozialisten in moralischer Hinsicht provozierten, wirkte ihre
Bewunderung der Kriegsgegner England und Amerika, die sich auch in ihrer
verbalen Ausdrucksweise widerspiegelte, (sowie ihre Ablehnung des HJ-,
des Arbeits- und des Wehrdienstes aber auch des gesamten Kriegsgeschehens)
in politischer Hinsicht provokativ.
(....)
.Jugendliche
Swingbegeisterung in Europa
Neben den swingbegeisterten Jugendlichen in
Deutschland hatte sich das Phänomen seit Mitte der 30er Jahre auch
in anderen europäischen Ländern ausgebreitet. Dieses traf insbesondere
auf Nord-West-Europa zu, wo durch die engere Verbindung zu England und
Amerika sich der Jazz am stärksten ausgeprägt hatte. Neben Frankreich
und Belgien sind hier vor allem Holland, Dänemark und die Schweiz
zu nennen. Die Suche nach einer eigenen und nicht von den Erwachsenen
vorgegebenen Form des Zusammenlebens war gemeinsamer Handlungszusammenhang
und Motivation dieser länderübergreifenden, in der Hauptsache
jugendlichen Bewegung, die sich an der Swingmusik orientierte. Sie wandte
sich gegen die alte, als "inflexibel" empfundene Gesellschaft und nahm
dabei die modernistischen Tendenzen, die der Jazz für sie ausdrückte,
auf.
Ausgehend von der Musik, dem dazugehörenden
Swingtanz und der eleganten Kleidung entwickelten diese Jugendlichen so
eine alternative Form des "Zusammenjungseins". Obwohl sich die einzelnen
Gruppen teilweise in der Art ihrer Aufmachung und Kleidung von den deutschen
Swings unterschieden, beispielsweise stellte die Gestapo bei einer Aktion
in Holland 1943 fest, daß "keine englischen Lieder gesungen und ...
keine Regenschirme mit sich" geführt wurden, lagen doch zu einem großen
Teil gleiche Ursachen bei der Entstehung zugrunde.
Allerdings änderte der Krieg die zunächst
ähnlichen Bedingungen dieser Jugendlichen und führte zu Unterschieden,
die erheblich von der jeweiligen Situation des Landes abhingen. Während
die swingbegeisterten Jugendlichen in den nicht besetzten europäischen
Ländern zwar bisweilen von konservativen Kreisen kritisiert wurden,
aber ansonsten unbelästigt und vor allem unverfolgt blieben, wurden
swingorientierte Jugendliche in Deutschland, im angeschlossenen Österreich
und in Frankreich, dort allerdings nicht von den Deutschen, sondern von
der französischen Miliz, massiv bekämpft. In den anderen besetzten
Gebieten kam es vereinzelt zu Aktionen der Gestapo, bei denen einige swingorientierte
Jugendliche festgenommen und in Arbeitslager eingewiesen wurden. Jedoch
fanden diese Maßnahmen nicht in dem selben Umfang statt wie im Deutschen
Reich, weil in den besetzten Gebieten aufgrund der beibehaltenen Selbstverwaltung
insgesamt ein größeres Maß an kultureller Freiheit
gewährt wurde.
Auch wenn die Abwehrhaltung gegen den Nationalsozialismus
nicht in die Bereiche des aktiven Widerstandes reichte, so nahm der Swing
in den besetzten Gebieten einen deutlichen oppositionellen Charakter ein.
Zwar geht die Literatur zur Entwicklung des europäischen Jazz in der
Regel nur in geringem Umfang näher auf die jugendlichen Swingfans
ein, aber dennoch weist sie darauf hin, daß der Swing in Europa zum
Sinnbild eines "inneren Widerstandes" wurde. So schreibt zum Beispiel
Wiedemann in Bezug auf Dänemark, daß der Jazz in der Zeit der
Besatzung sich zu einer Form des "kulturellen Widerstandes" entwickelte
und vor allem für die jungen Dänen zum "anti-deutschen Symbol"
wurde. Kurz faßt die Bedeutung des Swing für Europa daher
folgendermaßen zusammen: "Für die Bewohner der besetzten Länder
Westeuropas und für die der nicht besetzten verband sich mit dem Swing
die Hoffnung auf einen Sieg gegen den Faschismus." |