Wie in vielen anderen Städten auch, versuchen die Nazis vor den
vorrückenden Feinden ihre Spuren zu verwischen und Zeugen zu beseitigen.
So kommen die Amerikaner für die Befreiung 28 russischer, polnischer
und belgischer Zwangsarbeiter (darunter vier Frauen und ein sechzehnjähriges
Mädchen) sowie 71 überwiegend politische Gefangene zu spät.
Sie wurden kurz vor dem Einmarsch von Polizisten und Gestapobeamten ermordet.
Auch sind nur wenige der vormals 2500 Wuppertaler Juden noch in der Stadt
verblieben. Einige hatten während der NS-Zeit vor der Verfolgung fliehen
oder untertauchen können. Über 1000 wurden jedoch zwischen 1941
und 1942 in Konzentrationslager im Osten deportiert und sind dort zumeist
umgekommen. Deportationen von Juden, die aufgrund eines „arischen“ Ehegattens
oder eines „arischen“ Elternteils zunächst verschont worden waren,
erfolgten dann ab 1944.
Die Wuppertaler beklagen über 16.000 Tote (darunter über 7.000 Opfer der Luftangriffe). Die Bevölkerung ist - auch aufgrund umfangreicher Evakuierungsmaßnahmen - um die Hälfte geschrumpft. Von den 200.000 in Wuppertal verbliebenen Menschen, sind mehrere tausend Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus halb Europa. Trotz der gesunkenen Einwohnerzahl herrscht große Wohnungsnot, da etwa ein Drittel der Wohnungen zerstört sind. Viele Menschen müssen eng zusammengepfercht in Kellern, Bunkern, und Baracken hausen. Nahrungsmittel sind Mangelware. Hunger und Elend prägen den Alltag.
Einige freigelassene ausländische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter,
die oft jahrelang unter schlimmsten Bedingungen untergebracht und ausgebeuteten
worden sind, nutzen die Gelegenheit sich an ihren Peinigern zu rächen
und verbreiten Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Vorratslager
werden von Ausländern wie Einheimischen geplündert. Es gibt zahlreiche
Überfälle, in denen den Opfern Wertgegenstände wie Uhren
und Schmuck, Fahrräder, selbst die Kleidung vom Leib gestohlen wird.
Auch Raubmorde sind keine Seltenheit (verfügen doch viele der Plünderer
über Handfeuerwaffen, derer sich flüchtende Wehrmachtssoldaten
in Wiesen und Wäldern entledigt haben). Nur allmählich gelingt
es, die Ordnung in der Stadt wiederherzustellen.
Die ersten Anordnungen der amerikanischen Militärregierung kleben bereits wenige Stunden nach der Besetzung an Litfasssäulen, Häusern und Mauern. Zusätzlich fahren ab dem 17. April auch Lautsprecherwagen durch die Straßen, um die Bevölkerung über alle Neuregelungen in Kenntnis zu setzen. Über Zeitungen können sich die Einwohner nicht informieren, da dieses wichtige Propagandamedium der Nazis von den Besatzern verboten wird. Ab dem 12. Mai erscheint dafür erstmalig das „Amtliche Mitteilungsblat für Wuppertal - Bekanntmachungen der Besatzungsbehörde und der Stadt Wuppertal“. Aufgrund von Papierknappheit wird die Auflage allerdings bald von etwa 150.000 Exemplaren auf 10.000 reduziert. Später wird der unter alliierter Kontrolle stehende Rundfunk zu
einer weiteren wichtigen Informationsquelle. Da viele Radiogeräte
allerdings in den Kriegswirren (z.B. bei Bombenangriffen, Evakuierungen,
durch Flucht, etc.) verloren gegangen oder von Besatzungssoldaten als beliebtes
Souvenir mitgenommen worden sind, gibt es zu festen Zeiten Übertragungen
des Rundfunkprogrammes durch Lautsprecher auf öffentlichen Plätzen
wie dem Alten Markt, dem Neumarkt und dem Laurentiusplatz.
Doch nicht nur die Verwaltung, die gesamte Bevölkerung wird einer umfassenden politischen „Säuberung“ unterzogen. Im Polizeipräsidium, das vorübergehend als „Internment Camp“ dient, werden führende Nazis (und die, die man dafür hält) untergebracht. Im benachbarten Café Fritz Nüter, das in dieser Zeit als Dienststelle der Militärregierung genutzt wird, können Angehörige der Internierten vorsprechen. Allerdings wird das Sondergefängnis schon bald wieder aufgelöst und die Gefangenen werden entweder in größere Internierungslager gebracht oder aus der Haft entlassen. Mithilfe von Zeugenaussagen und eidesstattlichen Erklärungen von
politisch als unbelastet geltenden Bürgern versuchen sich viele ehemalige
Nazis von ihrer Vergangenheit „reinzuwaschen“ und als reine Mitläufer
in der Partei eingestuft zu werden. Um in den Besitz der Unbedenklichkeitsbescheinigungen
(sogenannter „Persilscheine“)
zu kommen, scheut auch so mancher nicht vor dreisten Lügen oder Bestechung
zurück.
Mit der Absicht, die Besatzer bei der Verwaltung der Stadt und dem Aufbau einer demokratischen Ordnung zu unterstützen, bilden sich zwei antifaschistische Aktionsausschüsse in Wuppertal. Die Aktivisten bestehen weitgehend aus ehemaligen Kommunalpolitikern der Weimarer Republik und umfassen neben Kommunisten und Sozialisten bald auch Mitglieder des bürgerlichen Lagers. Als ihre Hauptaufgaben sehen sie es an, dabei zu helfen, die Versorgungslage in der Stadt zu sichern, die Wohnungsnot zu beheben, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einzuleiten, sowie ehemalige Nazis aus der kommunalen Verwaltung zu entfernen. Die Ausschüsse tagen nahezu täglich und erarbeiten vielfältige Vorschläge für wichtige Maßnahmen. Als eine Art „Nebenverwaltung“ zum etablierten Verwaltungsapparat gerät einer der Ausschüsse allerdings schon bald in Konflikt mit den Besatzungsbehörden, die diesem Kompetenzüberschreitungen (wie eigenmächtige Durchsuchungen von Häusern und die Auferlegung niederer Arbeiten an deren Bewohner) vorwerfen. (Der entsprechende Ausschuss löst sich schließlich im August 1945 auf). Dem anderen antifaschistischen Ausschuss hingegen, der vornehmlich im Stadtteil Ronsdorf aktiv ist, gelingt es erfolgreich mit den amerikanischen (und später englischen) Behörden und der städtischen Verwaltungsstelle zusammenzuarbeiten (bis er im Sommer 1946 durch Bezirksausschüsse ersetzt wird). Bereits kurz nach dem Einmarsch werden die ersten Sofortmaßnamen eingeleitet, um die Lage in der Stadt zu stabilisieren und die größte Not zu lindern. Trinkwasser wird über Wassertanks zur Verfügung gestellt. Strom kann bald wieder zeitweise zur Verfügung gestellt werden. Neu aufgestellte Baracken und Behelfsheime aus Holz dienen als Notquartiere. Die ersten Betriebe können wieder die Produktion aufnehmen. Die wichtigsten Transportwege werden geräumt und wieder instand gesetzt. Weil die meisten Männer sich in Kriegsgefangenschaft befinden, übernehmen vor allem die Frauen die schwere Aufgabe der Enttrümmerung und sichern Ziegel- und Bruchsteine, Bleirohre und Altmetalle für den Wiederaufbau. Die Beschädigungen an einigen Versorgungsleitungen erweisen sich aber als so schwer, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis Rohr- und Gasnetze wieder voll funktionsfähig sind. Auch Holz und Kohle zum Heizen und Kochen bleiben lange Zeit Mangelware. Ein wichtiges Anliegen der Amerikaner ist es, die zur Gruppe der Displaced Persons (DPs) zählenden ausländischen Zwangsarbeiter, mit Lebensmitteln, Medizin und Kleidung zu versorgen und ihre Rückführung in die Heimat einzuleiten. Um den Prozess zu vereinfachen, werden sie in größere, nach Sprachgruppen geordnete Camps gebracht.Während die Angehörigen der westlichen Nationen - Franzosen, Belgier, Holländer - recht zügig zurückgeführt werden können, verzögert sich die Heimkehr für viele ehemalige Zwangsarbeiter aus dem Osten. Im Unterschied zu deutschen "Fräuleins", mit denen die GIs wegen
des Fraternisierungsverbotes nicht verkehren dürfen, gibt es keine
Einschränkungen für den Umgang mit "DP girls". Bei Tanzveranstaltungen,
die gemeinsam in den Camps abgehalten werden, zeigen die GIs den Mädchen,
Jitterbug zu tanzen und es entwickeln sich einige Romanzen. Problematisch
hingegen erweisen sich die Ausschreitungen einzelner oder in Gruppen organisierter
Zwangsarbeiter gegenüber der Wuppertaler Bevölkerung. Während
die amerikanischen Besatzer aus Sympathie für die so lange unterdrückten
und oft schwer misshandelten Ausländer die Übergriffe anfangs
teilweise tolerieren, wird bald dagegen vorgegangen und gewalttätige
DPs werden verhaftet.
In der Folgezeit sinkt die Zuteilungsmenge jedoch auf 517 Kalorien ab. Für den gesamten Zeitraum vom 28. Mai bis 24. Juni 1945 besteht die Ration für einen Normalverbraucher aus: 400g Fleisch, 310g Fett, 4,5kg Roggenbrot, 300g Erbsen, 125g Zucker, 125g Quark – aber selbst diese extrem geringen Mengen sind oft nicht zu bekommen. In den Geschäften gibt es nichts mehr zu kaufen. Was essbar ist,
Pilze, Beeren, Brennesseln, selbst die Eier von Singvögeln (oder die
Vögel selber) werden verzehrt. Aus gerösteten Bucheckern und
Eicheln wird Ersatzkaffee hergestellt. Wer die Möglichkeit hat, nutzt
seinen Garten oder Balkon zum Anbau von Gemüse. In einer Zeit, wo
das Rauchen vielen hilft, den Hunger zu betäuben, ist auch das Aufziehen
von Tabakpflanzen beliebt. Um zu überleben, müssen sich viele
zusätzlich etwas „organisieren“ gehen. Auf dem Schwarzmarkt
explodieren die Preise. Für eine goldene Uhr gibt es eine Büchse
Schmalz, so mancher Ehering wechselt für ein paar Ami-Zigaretten den
Besitzer.
Bereits am 25. April 1945 wird die zunächst aufgelöste Polizei reaktiviert, aber nur die Polizisten, die als politisch unbelastet eingestuft werden, dürfen ihren Dienst wieder aufnehmen. Zunächst bekommen diese zur Kennzeichnung ebenfalls Armbinden, das Tragen der Uniformen wird erst am 7. Mai 1945 erlaubt. Waffen dürfen die Polizisten nicht besitzen, aber sie führen selbstgefertigte Holzknüppel mit sich (die später durch Gummiknüppel ersetzt werden). Während es relativ zügig gelingt, die Plünderungen zu
stoppen, bleibt der Kampf gegen den Schwarzmarkt erfolglos. Trotz Androhung
drakonischer Strafen für Schwarzmarkttätigkeiten (mindestens
12 Monate Gefängnis) und regelmäßiger Razzien treiben Hunger
und Verzweiflung die Menschen immer wieder zum illegalen Handel mit Nahrungs-
und Genussmitteln.
Die Amerikaner bleiben knapp zwei Monate in Wuppertal. Am 14. Juni 1945 verlassen sie die Stadt, um ihren britischen Verbündeten Platz zu machen. Am 16. Juni 1945 wird Wuppertal dann Teil der britischen Besatzungszone. Obwohl die Amerikaner nur kurz in Wuppertal verweilen, stellt ihre Besatzungszeit einen einschneidenden Wendepunkt in der Geschichte der Stadt dar. Die Besatzer bereiten den Weg für einen friedlichen, demokratischen Neuanfang und leiten grundlegende Schritte für den Wiederaufbau der Stadt ein. Unter amerikanischer Verwaltung wird die öffentliche Ordnung wiederhergestellt, wichtige Aufräumarbeiten werden in Angriff genommen, die Wasser- und Stromversorgung wieder instand gesetzt, Notquartiere geschaffen, und erste Entnazifizierungsmaßnahmen durchgeführt. Auch das Verhältnis zwischen Besatzern und Bevölkerung entspannt sich allmählich. Das Fraternisierungsverbot, gegen das sich angesichts des großen Elends der Bevölkerung bei vielen GIs bald Widerstand regt, wird bereits im Juni gelockert. Die Soldaten dürfen mit Kindern sprechen und so manches bekommt einen der begehrten Schokoriegel oder Kaugummis zugeschoben. Sammlung von Informationsmaterial
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